Ein "sichtbares und hörbares Buch der Zukunft" aus Werken der Stuttgarter Literaturszene und Region

Ulf Stolterfoht

Ulf Stolterfoht ist 1963 in Stuttgart geboren und lebt in Berlin. 2008 erhielt er den Peter-Huchel-Preis.

▶ Langfassung als Bonusmaterial

o. T.

aus: rückkehr von krähe

seinen letzten tag hienieden will krähe im verschneiten heslacher waldheim
verbringen. dünn ist er geworden, der krähe, verdammt dünn. das bärenfell
passt locker zweimal um die lenden. so sitzt er dann draußen, unter den
kastanien, im hüfthohen schnee, wo er tatsächlich versucht, sein tricksterbuch
zu vollenden. und krähe hat glück, unverdientes glück: es ist montag,

und montag ist schnitzeltag! krähe wählt den klassiker: wiener art, mit
bratensoße und kartoffelsalat, für siebenfünfzig. grünen salat nimmt man
sich selbst am büffet. dazu drei oder vier herrenpils - so ließe sich leben.
im gastgarten kühlt das schnitzel allerdings sehr schnell aus. was nicht
schlimm ist - krähe kriegt es eh nicht runter. er vermacht es einer vorbei-

schnürenden bache. die salate vergräbt er im schnee. "alles sauber weggeputzt,
der herr krähe!", lobt ihn die tresenkraft. auf der herrentoilette spuckt
er einen halben liter blut ins becken. es bleiben ihm noch etwa acht stunden.
"das wäre doch gelacht", denkt krähe und macht sich ans werk. es soll
ja etwas bleiben von ihm. in seiner hosentasche ertastet er das unbenutzte

präservativ, und schräg fallen die flocken vom himmel und legen sich auf
fell wie gefieder. und ab gehts: "bei krähes taufe verletzt ihn ein exeget
mit der axt. das soll dem exegeten schlecht bekommen. schon kurz darauf
erlegt jung-krähe seinen ersten text." das flutscht ja gar nicht schlecht - nur:
lassen sich texte wirklich erlegen? für logische bedenken ist jetzt keine zeit

- krähe kann sie sich schlicht und ergreifend nicht leisten. zum nächsten
herrenpils womöglich ein wacholder. (ein wacholder klopfe immer zweimal
an, erklärte krähe vor vielen jahren hermann wallmann. aber warum?
was kam dann? krähe kann sich nicht mehr erinnern.) und nun ist es fast
schon zu spät. krähe spricht den rest in sein diktiergerät tascam dr-05 v2.


o. T.

aus: rückkehr von krähe

compressa membra cornicis, bündel aus federn und gestauchtem
knoch, schwarzes gewölle im immer weiter fallenden schnee,
und der, der einmal krähe war, sehnt sich zurück in den dotter,
an den angegebnen ort. der angegebne ort könnte sein: eine verschwiegene
sasse bei brașov / kronstadt oder vielleicht der winkel

von hardt. da fährt heute die eisenbahn drüber. ich bin, sagt
krähe, ein brikett, ein knopfeskleiner mönch, der bloß noch nicht
begriffen hat, dass es ans sterben ging. dass das sterben genau in
diesem moment endet. hoppla, sagt olle fledermaus, da hat sich
einer ausgehaucht. krähe: ja, ja, das war der nämliche. hatte die

ehre! winzige zähre. so weit vielleicht. für authentisches seufzen
drücken sie bitte audio-file. ist ihnen die räumliche situation nicht
vollständig klar, empfehlen wir skizze. ansonsten einfach auf weiter.
weiter: was denkst denn du, der krähe, der aufersteht in kürzester
zeit und wandert erneut. brät sich erst mal einen storch, gut durch,

und gestopft mit kürbis, maronen und durchwachsenem speck. zum
nachtisch mittleres geheck. kuttelfleck. "ich liebe", so krähe, "haxe
und althessische bratwurstmasse. die schmeckt richtig klasse." sie
möchten, dass krähe noch mehr übers essen erzählt? dann bitte die
acht. das sollte reichen? drücken sie einfach die dreizehn. krähe sagt:

"mir ist das langsam zu blöd, dieses ständige 'möchten sie dies, machen
sie das!' - fucking opi-scheiß! das hat doch jeder längst kapiert." und:
"nur eine strukturidee pro gedicht - das kommt mir etwas wenig vor."
fledermaus sekundiert: "zwei ideen sprechen für fleiß, drei sind meistens
eine zuviel. hast du jedoch fünf, dann winkt von fern der huchel-preis."